Missverständnis: Egoismus vs. persönliche Wichtigkeit
Ein grundsätzliches Missverständnis
Gerade in Therapien werden die Klienten oft darauf hingewiesen, dass sie lernen müssten, besser auf sich und die eigenen Gefühle zu hören. Es ist das, was ich als Achtsamkeit sich selbst gegenüber bezeichne.
Das hat damit zu tun, dass viele Menschen sich eher um andere, als um sich selbst drehen. Wenn beispielsweise eine Frau darüber klagt, dass ihr Mann dies und jenes täte, das eine oder das andere sagt, oder lasse, und vermutlich das denkt, und wahrscheinlich dieses Gefühl hat, dann ist es an der Zeit, sie sanft darauf hinzuweisen, dass sie mal in sich spüren solle, und nachfühlen, was sie selbst empfindet.
Ganz langsam wird ihr Focus und ihre Achtsamkeit auf sich selbst gelenkt. Sie selbst sei wichtig, und solle sich selbst infolgedessen wichtiger nehmen. Das ist kein Egoismus, sondern notwendige Selbstachtung.
Es sind gerade die Menschen, die eher unter einem mangelndem Selbstbewusstsein leiden, die vermehrt danach schauen, was die Menschen um sie selbst herum fühlen.
Diese Menschen lebten lange Zeit das Leben eines anderen, der Eltern, des Partners, oder der Partnerin. Ließen sich beeinflussen, sich prägen, und einvernehmen. Dabei vergaßen sie immer mehr die eigenen Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse.
Ihr Sinn für sich selbst, das eigene Verlangen und die eigenen verschütteten Sehnsüchte müssen wieder hervorgelockt und deren Selbstbewusstsein gestärkt werden. Das geschieht durch die oben genannte Fokussierung auf sich selbst.
Der Klient wird angehalten, verstärkt auf sich selbst zu achten, und den eigenen Blickwinkel zu ändern. Das fällt vielen Menschen jedoch schwer, da uns die Selbstfürsorge in unserer Gesellschaft quasi aberzogen wurde.
Ein Kind dreht sich zunächst nur um sich selbst, und wird erst nach und nach zu einem sozialen Wesen geformt. Dabei wurde früher jedoch zu wenig darauf geachtet, dass auch ein Kind wichtige Bedürfnisse hat, und nicht ausschließlich egoistisch handelt, wenn es aus den eigenen Wünschen heraus handelt. Ihm wurde dennoch Egoismus unterstellt, der gesellschaftlich geächtet war.
Wo ist nun der Unterschied zwischen persönlicher Wichtigkeit und Egoismus?
Sich um sich selbst kümmern zu können, ist eine Stärke. Sich selbst um die eigenen Bedürfnisse zu bemühen, und für die eigenen Interessen einzutreten, auch.
Es ist unablässig, sich selbst wichtig zu nehmen, denn wir alle haben das Recht auf unsere persönliche Wichtigkeit, die wir uns natürlich auch von anderen wünschen. Gesehen und wichtig genommen werden ist eins unserer Grundbedürfnisse. Siehe zum Thema auch HIER.
Leider treffe ich in meiner Praxis immer wieder auf Menschen, die diese Selbstliebe, dieses sich selbst wichtig nehmen, missverstehen und egoistisch gegen andere Menschen werden.
Genau an dieser Stelle ist der Unterschied. Selbstfürsorge bzw. selfcaring ist etwas, dass ich tue, um es mir selbst gutgehen zu lassen. Ich sorge für mein Wohlergehen, da auch nur ich um meine innersten Bedürfnisse weiß. Dann brauche ich nicht von anderen Menschen zu erwarten, dass diese meine Wünsche befriedigen.
Geht die Selbstfürsorge jedoch so weit, dass die eigenen Partner oder andere Mitmenschen beeinträchtigt werden, geht die Selbstfürsorge in Egoismus über.
Zwei Beispiele:
1) Auf einer Party gibt es Häppchen, die ich extrem lecker finde. Möchte ich nun gut für mich sorgen und gebe ich deshalb meinem inneren Bedürfnis nach, mir alle Häppchen zu sichern, handle ich egoistisch gegen die anderen, die ebenso, wie ich, ein Recht auf diese Häppchen haben.
2) Viel zu lange habe ich mich meinem Partner und seinen Wünschen angepasst. Jetzt bin ich mal dran, denke ich, während ich meiner besten Freundin meinen Willen aufzwinge. Denn in dem Bedürfnis, für mich gut zu sorgen, verliere ich nämlich auch meine Kompromissbereitschaft. Ich will unbedingt ins Kino, während sie lieber ins Theater möchte. Das lehne ich kategorisch ab. Alternativ in ein Konzert zu gehen lehne ich ebenfalls ab. Auch das ist Egoismus, da ich meine Selbstfürsorge auf Kosten meiner Freundin durchsetzen will.
Mich selbst wichtig nehmen, würde ich dann, wenn wir seit Jahren ins Theater gingen, und ich nun merke, dass ich gern mal ins Kino gehen würde, und das äußere. Dann sorge ich für mich.
Selbstfürsorge, bzw. die eigene Wichtigkeit endet genau dort, wo auch die persönliche Freiheit endet, nämlich an den Grenzen anderer. Andernfalls wären wir, konsequent zu Ende gedacht, eine Gesellschaft von Egoisten, denn natürlich hat jeder Mensch das Recht auf die eigene Wichtigkeit und die damit verbundene Selbstfürsorge.
Missverstanden wird häufig allerdings auch die gesunde Selbstliebe mit der ihr zuteil werdenden Fürsorge. Diese wird ebenfalls häufig fälschlicherweise als Egoismus bezeichnet, was, wie bereits oben erwähnt, durch gesellschaftliche Normen geprägt ist.
Aus psychologischer Sicht gesehen, ist die Selbstfürsorge, jedoch positiv und begleitet von Selbstbewusstsein, keinesfalls Egoismus, sondern ein wirklich wichtiger Teil der Persönlichkeitsentwicklung.
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