Blinde Flecken in der Psychologie

Von Selbstbetrug und falschen Erinnerungen

Blinde Flecken kennen wir alle irgendwie. Wir bezeichnen die Bereiche einer Persönlichkeit als blinde Flecken, die die Person selbst nicht sehen möchte.

Es ist das Phänomen, welches wir so schön mit dem Zitat Jesus‘ aus der Bergpredigt umschreiben: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?“

Wir sind oft gut im Be- bzw. Verurteilen von anderen, haben jedoch bei uns selbst eine Schwachstelle. Es fällt uns einfach deutlich leichter, die „psychischen Macken“ bei unserem Gegenüber zu sehen, als uns selbst zu verstehen.

Der Begriff „Blinder Fleck“ kommt von dem Punkt auf der Netzhaut unseres Auges, an welchem der Sehnerv auf die Netzhaut trifft. Dort fehlen die lichtempfindlichen Rezeptoren, um ein Bild zu empfangen, was an das Gehirn weiter geleitet werden kann. Man ist an dieser Stelle tatsächlich „blind“.

Analog dazu haben wir blinde Flecken im Bereich der Selbstwahrnehmung, wenn wir einen Teil unserer Psyche nicht sehen, bzw. nicht wahrhaben wollen oder können.

Dieses nicht wahr-haben-wollen hat oft eine Schutzfunktion. Unsere Psyche versucht uns vor unangenehmen Erkenntnissen zu schützen. Das kann bis zum Selbstbetrug oder Selbstverleugnung gehen. Auch so weit, dass wir unsere Erinnerungen so verfälschen, dass wir damit leben können.

Im Gehirn gibt es Bereiche, die wir nicht sehen wollen

Aber blinde Flecken gibt es nicht nur in den Bereichen, die unangenehm sind, die wir am liebsten gar nicht wissen wollen. Es gibt sie auch in den Bereichen, wo mangelndes Selbstvertrauen nicht zulässt, dass wir erkennen, dass wir besser sind, als wir denken.

Wenn wir z.B. etwas besonders gut können, uns dessen aber nicht bewusst sind, weil uns das Selbstvertrauen dazu fehlt, auch dann haben wir blinde Flecken, nämlich was die Selbsteinschätzung angeht. Umgekehrt leiden beispielsweise Narzissten an einer Selbstüberschätzung, die sich ebenso auf blinde Flecken zurück führen lässt.

Blinde Flecken in der Psychologie sind also all die Wahrnehmungsstörungen, die sich auf unser Selbst beziehen, und zumindest theoretisch von uns erkennbar wären, wenn wir unbeeinflusst offen und ehrlich mit uns selbst umgehen könnten.

Beispiele für blinde Flecken

Vielleicht das bekannteste Beispiel für blinde Flecken ist, dass Misshandlungen, insbesondere sexueller Missbrauch in der Kindheit, nicht mehr erinnert werden. Das kindliche Opfer verdrängt die bösen Geschehnisse aus seiner Erinnerung, um überleben zu können.

Das kann so gut gelingen, dass selbst jahrelanger Missbrauch völlig vergessen wird. Der seelische Schutzmechanismus funktioniert in diesem Fall hervorragend, erzeugt jedoch blinde Flecken, die jederzeit ihren Tribut fordern können.

Erst, wenn die Seele rebelliert, oder der Körper streikt, weil die schlimmen Erfahrungen Gehör finden und aufgearbeitet werden wollen, kann aus diesen blinden Flecken ein integrierter Bestandteil der eigenen Psyche werden.

Sich selbst nicht verstehen können, beweist blinde Flecken

Blinde Flecken sind aber auch dort zu erkennen, wo wir durch mangelnde Selbstreflexion einfach nicht genau hinschauen.

Wenn ein Mensch, der an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet, einfach nicht wahrhaben will, dass sein Verhalten problematisch ist, und dieser nicht wahrnehmen kann, dass er aufgrund von frühen Kindheitserfahrungen Störungen in seinem aktuellen psychischem Verhalten aufweist.

Ohne die Unterstützung einer geschulten Person wird ihm dies auch nicht gelingen, und er wird eine große Bereitschaft aufweisen müssen, sich selbst in der Tiefe zu reflektieren.

Da es sich bei Narzissmus um eine schwerwiegende psychische Störung handelt, bedarf es eines Psychotherapeuten oder Psychiaters, der diese Person begleitet.

Deutlich weniger gravierend sind die blinden Flecken seelisch weitgehend gesunder Menschen. Diese blinde Flecken spiegeln oft das Nicht-wahr-haben-wollen bestimmter seelischer Umstände.

Als Beispiel will ich hier eine Alltagssituation aus einer Paarbeziehung nennen. Eine Frau reagiert auf ein bestimmtes Verhalten ihres Partners besonders gereizt, und erkennt nicht, dass ihr eigenes Verhalten das Resultat vorgelebter Erfahrungen ist.

Hier hat sie ihre blinden Flecken, weil sie keinerlei Übung in Selbstreflexion hat. Könnte sie sich selbst reflektieren, würde sie sehr schnell erkennen, dass ihr Verhalten die Kopie des Verhaltens ihrer Mutter ist.

Blinde Flecken blockieren das Verstehen unserer Psyche

Das Erkennen von blinden Flecken

Das Erkennen blinder Flecken kann bei der Persönlichkeitsentwicklung helfen. Die Entdeckung der eigenen blinden Flecken kann nämlich dafür sorgen, sich selbst immer besser kennen zu lernen. Denn wer versteht, warum er sich so verhält, wie er es nun mal tut, kann erst nach Erkennen der Hintergründe, dieses Verhalten verändern. Erkennen ist der erste und wichtigste Schritt zur Veränderung.

Ein Weg dahin ist die bereits erwähnte Selbstreflexion. Sie unterstützt dich dabei, deine blinden Flecken zu erkennen und zu verstehen. Das erleichtert die Veränderung.

Sich selbst besser kennen lernen, durch Selbstreflexion

Allein schon, weil du dich durch eine regelmäßige Selbstreflexion immer wieder auf Spurensuche begibst, wirst du irgendwann auch zwangsläufig über deine blinden Flecken stolpern. Dich mit ihnen auseinander zu setzen ist dabei wirklich hilfreich.

Lies‘ hierzu gern auch meinen Beitrag zur Selbstreflexion, oder gib das Wort „Selbstreflexion“ im Suchfeld rechts oben ein, um dir all meine Beiträge zum Thema auflisten zu lassen, wenn du dich dem Thema von verschiedenen Seiten nähern willst.

Selbstreflexion stärkt im Übrigen auch dein Selbstwertgefühl. Du lernst dich selbst besser einzuschätzen und deine eigenen Handlungen und Reaktionsmuster zu verstehen. Sie ist ein wichtiger Schritt im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung.

Warum blinde Flecken störend sein können

Blinde Flecken in deiner Psyche können dir in einigen Dingen dein Leben erschweren, wenn du sie nicht entdeckst. Ob sie nun zu einer Selbstunterschätzung deiner Selbst führen, oder unbearbeitet zu einem Verhalten, welches zu deinem Nachteil ist, ist hierbei egal.

Angenommen, dein erwachsener Sohn erzählt dir freudestrahlend, dass er nun endlich weiß, was er nach dem Studium beruflich machen will, und du konterst postwendend negativ und zerstörerisch, und nimmst ihm so seine Begeisterung. Nun solltest du dich fragen, warum du so reagierst.

Das Selbst, das unbekannte Wesen

Kann nämlich sein, dass ein psychologisches Verhalten dahinter steckt, dass sich bisher gut als blinder Flecken getarnt hat. Vielleicht ist dir nicht bewusst, dass du dieses Verhalten von deinem Vater übernommen hast, der dich in deiner Jugend ebenso behandelt hat.

Immer, wenn du von irgendetwas begeistert warst, fand er Argumente, die dir die Freude nahmen. Das ist ein typisches Verhalten, welches man leicht von einem Elternteil übernehmen kann, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Man kopiert quasi das Verhalten, übernimmt es, ohne es zu hinterfragen. Wir sind geprägt, von Erfahrungen, Vorbildern, unseren Liebsten, von Erziehern, Nachbarn, Familienangehörigen…

Und nun zerstören wir genauso die Freude unseres Sohnes, wie unsere Freude einst zerstört wurde. Da hilft nur, sich bewusst zu machen, was passiert ist, die Hintergründe zu verstehen, sich womöglich zu entschuldigen, und daran zu arbeiten, ein derartiges Verhalten zukünftig zu unterlassen.

Es ist wichtig, zu verstehen:

Alle Menschen, die uns begegneten, konnten Einfluss auf uns nehmen, denn manchmal reicht eine Spitze, eine gemeine Bemerkung aus, um uns nachhaltig zu beeinflussen. Erlebnisse prägen uns.

Sich selbst erkennen, lässt dich bunter werden

Hinzu kommt die Vererbung bestimmter Charakterstrukturen – wir können nun mal nicht aus unserer Haut. Umso wichtiger ist es, uns selbst mit all unseren möglichen Wunden gut kennen zu lernen, uns bewusst zu machen, welche blinde Flecken wir haben.

Wir sollten uns fragen, was uns ausmacht, und wie wir geprägt wurden. Immer und immer wieder. Sich selbst kennen zu lernen ist eine Lebensaufgabe, die eigenen blinden Flecken zu erforschen, ein langwieriges Projekt.

Da ich gezwungen bin, die Themen oft sehr zu raffen, sprich mich gern an, wenn du Fragen hast. Du kannst mich auch anmailen. Auch Termine zur Unterstützung bei deiner Persönlichkeitsentwicklung können wir gern gemeinsam abstimmen.

l

l

l

l

The following two tabs change content below.
Hier bloggt für euch Almut Bacmeister-Boukherbata, Psychologische Beraterin & Paarberaterin in eigener Praxis seit 2001. In Hamburg lebend und praktizierend. Bietet seit 2010 auch mobile Beratung im Hamburger Umkreis an. Für alle, die nicht aus Ihrem Einzugsgebiet kommen, bietet sie ebenfalls Telefoncoaching an. Ihre Arbeitsweise ist kreativ und intuitiv, Klientenbezogen. Bekannt unter dem Begriff: "Individuelle Wegbegleitung". Sie schreibt Bücher und betätigt sich künstlerisch.

Neueste Artikel von Almut Bacmeister-Boukherbata (alle ansehen)