Die unerwünschten Gefühle
Von der Gesellschaft nicht akzeptiert
Wut, Ärger und Trauer werden in unserer Gesellschaft nicht gern gesehen. Es sind oft sehr vehemente, also starke Gefühle, die für andere Menschen nur schwer ertragbar sind, falls diese nach außen spürbar werden.
Entweder, weil sie lautstark kundgetan werden, wie Wut und Aggression, oder weil sie aus der betroffenen Person einen Menschen, der nur noch aus Trauer und Kummer zu bestehen scheint, macht, und dessen Leid so wenig beeinflussbar wirkt. Nur mit viel Gefühl sind diese trauernden Personen ansprechbar, doch erreichbar sind sie häufig nicht, da völlig in ihrer Trauer versunken.
Generationen lang wurde versucht, diese intensiven Gefühlsausbrüche möglichst zu unterbinden, regelrecht auszumerzen. Die Erziehung sorgte dafür, diese Gefühle nicht etwa als dazu gehörig zu empfinden, sondern stempelte sie als unerwünschte, sogenannte negativen Gefühle ab.
Diese starken Gefühle wurden den Kinder jahrzehntelang abtrainiert, bzw. aberzogen. Schließlich sahen es die Eltern lange Zeit als ihre Aufgabe an, ihre Kinder zu netten, sympathischen Menschen zu erziehen, die zu keinerlei aggressiven oder anderen unwillkommenen Gefühlen fähig waren.
Dass diese Erziehung schwerwiegende Folgen für die Seele eines Kindes hatte, wussten die damaligen Elterngenerationen natürlich nicht. Psychologie gab es in unserem heutigen Sinne als Allgemeingut noch nicht, sondern war einigen forschenden Gelehrten vorbehalten. Das hatte zur Folge, dass zu einer guten Erziehung eben auch gehörte, diese vermeintlich negativen Gefühle zu unterdrücken und wenn möglich ganz zu vertreiben.
Es war nicht erwünscht, mit bestimmten Gefühlen hausieren zu gehen. Wut, bzw. Aggression sollten am Liebsten gar nicht erst empfunden werden. Wenn diese Gefühle sich doch Bahn brachen, dann sollten sie wenigstens möglichst zivilisiert, d.h. so geäußert werden, dass diese Wut keine Folgen für die Anwesenden hat.
Prinzipiell müssen wir uns klar machen, dass die gesamte Bandbreite an Gefühlen zu uns gehört. Wir wurden mit all unseren Gefühlen geboren und sie sind Teil unserer inneren Strategie, mit unserem Leben fertig zu werden.
Wir benötigen dazu auch Wut, denn die macht uns stark, oder Aggression, denn die sorgt dafür, dass wir uns gegebenenfalls wehren. Trauer sorgt in der Regel dafür, dass wir uns verabschieden bzw. etwas oder jemanden loslassen, dass wir einen Schmerz verarbeiten können, usw.
Wenn wir auf alle diese gesellschaftlich verpönten, unerwünschten Gefühle und deren Ausdruck verzichten würden, würden wir an vielen Stellen hilflos sein. Wir wären z.B. Ungerechtigkeiten machtlos ausgesetzt, weil wir nicht gelernt haben, auf uns zu achten, in uns zu spüren, und unseren Gefühlen entsprechend zu agieren.
So benötigen wir Wut, um zu merken, dass wir ungerecht behandelt worden sind, und Aggression, um uns dagegen zu Wehr zu setzen. Wurden uns diese notwendige Impulse bereits in frühester Kindheit aberzogen, so sind wir dazu verdammt, alles über uns ergehen zu lassen. Wir werden zu Opfern und sorgen durch unser angepasstes Verhalten dafür, dass Täter Täter bleiben.
Ob nun Trauer, Wut oder Aggression mit ihren vielen Begleitgefühlen, wir benötigen diese intensiven Gefühle, um einen Gefühlsausdruck für unsere Seele zu haben.
Wenn uns diese Gefühle zum Empfinden abtrainiert wurde, so fehlt uns ein wichtiger Teil, der uns das Leben verständlicher macht. Es ist der Teil, mit dem wir beispielsweise Verletzungen verarbeiten, und Motivationen bekommen, für uns selbst einzutreten.
Leider sind diese Gefühle in unserer Gesellschaft immer noch als negative Gefühle angesehen. Alle Gefühlsausdrücke, die zu intensiv sind, werden immer noch verpönt.
Gerade, wenn Trauer eindringlich, mit vielen Tränen und Verzweiflungsschreien einhergeht, weiß man oft nicht, wie man reagieren soll. Man hat den Impuls zu trösten, aber dies will einem nicht so recht gelingen. So werden häufig nur Pauschalitäten geäußert. „Du musst nach vorn schauen.“, „Weinen hilft nichts.“, „Es kommen auch wieder bessere Tage.“, usw. Die Trauer anderer ist häufig schwer auszuhalten. In anderen Ländern, wie z.B. Italien, wird mit Trauer, zumindest, wenn es um den Verlust durch Tod geht, ganz anders um gegangen. Im Süden wird bis heute lautstark sein Leid geklagt, und mithilfe von Klageweibern sogar noch verstärkt. So wird ein paar Tage alles Leid heraus geschrien, um sich davon zu befreien. Auch eine Art der Trauerarbeit, die vermutlich höchst wirksam ist, Der Trauernde fühlt sich weder allein gelassen, in seinem Kummer, noch hat er das Gefühl, er müsse seine Trauer, weil von anderen unerwünscht, unterdrücken.
Statt einfach nur für den Trauernden da zu sein, wird bei uns mit allen Mitteln versucht, dem trauernden Menschen dessen störende Gefühle fort zu nehmen. Viele Trauernde können ein Lied davon singen, wie allein sie sich gefühlt haben, weil sie das Gefühl hatten, ihre anhaltende Trauer sei unerwünscht.
Ebenso ergeht es uns mit Wut. Sie kann direkte Folge einer Kränkung sein. Wir spüren also eine Verletzung, die mit einer aggressiven Antwort einher gehen kann.
Halten wir uns vor Augen: Eine Kränkung kann ein bewusster, ein absichtlicher Akt sein, bei dem der Sender sein Gegenüber bewusst verletzen will, oder ein versehentlicher, unbeabsichtigter Akt, bei dem das Gegenüber aufgrund von Vorerfahrungen und -kränkungen, verletzt reagiert.
Wut ist also häufig ein Ausdruck von Kränkung. Wenn ein Mensch also aggressiv auf etwas scheinbar Harmloses reagiert, dann ist seine Umwelt nicht selten entsetzt, und hält die Reaktion für völlig überzogen. Offene Wut ist einfach nicht erwünscht.
Über versteckte Aggression wird hingegen häufig hinweg geschaut, da sie eben weniger offensichtlich ist. Sie wird weniger geächtet, oder verfolgt, obwohl sie ihrem Gegenüber das Leben, in Form von passiver Aggressivität durchaus zur Hölle machen kann. Lies‘ dazu meine Beiträge zur passiven Aggression, gib‘ dazu das Suchwort „Passive Aggression“ in das Suchfeld ein, oder lies‘ auch: https://psychologica.de/passive-aggression/
Übrigens werden jegliche deutliche Gefühlsausdrücke, wie z.B. auch lautes Lachen, nicht sonderlich begrüßt. Dabei gehören solche Emotionen zu uns. Oft haben wir nur nicht gelernt, adäquat mit unseren Gefühlen umzugehen. Wir haben auch nicht gelernt, auf uns und unsere Gefühle zu hören. Einfach, weil die meisten intensiven Gefühlsausdrücke noch immer bestraft und verurteilt werden, durch unpassende Kommentare oder Reaktionen.
Wie schön wäre es jedoch, wenn wir unsere Gefühle von klein auf an, als zu uns gehörig erleben dürften, und als etwas, was wir wertschätzen sollten. Wie schön, wenn diese Art der Gefühle auch sein dürften. Notfalls laut und krachend.
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