Zeitmangel – ein modernes Phänomen
Das Zeitphänomen
Wer kennt sie nicht, Sätze wie: „Ich habe keine Zeit.“, „Das schaffe ich nicht.“, „Mir fehlt die Zeit dazu.“. Dabei verfügen wir rein theoretisch alle über gleich viel Zeit. Mal abgesehen davon, dass wir Zeit zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich empfinden. Oder, besser gesagt: Die Uhr tickt für uns schneller, oder langsamer, je nach den entsprechenden Umständen.
Es ist schließlich bekannt, dass unsere Zeit schneller vergeht, wenn wir das Gefühl haben, mehr Zeit zu brauchen. Wir sitzen beispielsweise in einer Klausur, und sind noch längst nicht fertig, während der Uhrzeiger gnadenlos auf den Abgabetermin zu tickt. Die Zeit vergeht viel zu schnell.
Ebenso verhält es sich, wenn wir eine besonders schöne Zeit, wie z.B. Urlaub, oder das Zusammensein mit unseren Liebsten erleben, und die Zeit nur so zu fliegen scheint. Hingegen tickt die Uhr besonders langsam, wenn wir etwas nicht erwarten können, oder eine Situation erleben, von der wir uns wünschen würden, sie würde zügig zu Ende gehen, wie z.B. ein Krankenhausaufenthalt.
Während wir uns manchmal wünschen würden, die Zeit zurück drehen zu können, würden wir uns in bestimmten Situationen auch darüber freuen, den Zeiger vorstellen zu können. Auch die Zeit anhalten zu können, käme uns das eine oder andere Mal gelegen.
Zeit zurück drehen, um beispielsweise einen Fehler wieder gut zu machen, oder die Uhr vorstellen, damit wir früher Feierabend machen können. Die Uhr anhalten, um besonders schöne Momente festzuhalten, und länger zu genießen.
Zeit ist etwas, das man sich nimmt
Ich persönlich hasse nichts mehr, als die Aussage einiger Menschen, sie hätten keine Zeit dazu, etwas bestimmtes zu tun. Dabei sind es nämlich genau diese Menschen, die besonders viel auf die Reihe bekommen. Sie schaffen all das, woran sie Interesse haben, und der Satz: „Ich habe keine Zeit.“ ist in meinen Augen eine Ausrede.
Schon vor vielen, vielen Jahren prägte ich den Satz: „Zeit ist etwas, das man sich nimmt.“ – oder eben auch nicht. Wenn man etwas für sich selbst nicht als wichtig erachtet, wird man kaum die Zeit dazu finden. Will man jedoch etwas, dann wird man sich dafür auch die Zeit nehmen.
Ich persönlich empfinde es halt als widersprüchlich, ja, befremdlich, wenn eine Person einerseits meint, sie habe keine Zeit gehabt, sich zu melden, während sie erzählt, was sie alles tolles unternommen hätte. Da frage ich mich, wie die Prioritäten gesetzt werden. Ich bin es auf jeden Fall nicht, die wichtig für diesen Menschen ist.
Ganz ehrlich, wenn auch ich erst einmal all das erledigen würde, was ich tun müsste, dann bliebe kaum Zeit für mich selbst, oder für andere. Wenn ich jedoch weiß, dass eine Freundin von mir unter Einsamkeit leidet, dann nehme ich mir die Zeit, ihr kurz zu schreiben, oder sie anzurufen. Dafür muss ich natürlich mich, und meine eigenen Bedürfnisse ein wenig zurück nehmen, und es für wichtig halten, dem anderen Menschen zuliebe etwas zu tun.
Andere Menschen haben für mich nun mal Priorität. Notfalls bleibe ich ein wenig auf der Strecke. Ich denke einfach, es ist unlauter, zu sagen: „Ich hatte keine Zeit.“, obwohl es ehrlicher wäre zu sagen: „Ich habe mir die Zeit nicht genommen, weil…“ . „… ich etwas anderes lieber getan habe,“,“… keine Lust dazu hatte.“,“… ich mir selbst wichtiger war.“,“… ich mich lieber mit Freunden treffen wollte.“, usw.
Die Begründungen sind so vielfältig, wie die Menschen, die sie äußern. Aber ein Fakt bleibt: Sie finden keine Zeit für die Dinge, zu denen sie einfach keine Lust haben. Mama z.B. anzurufen, und sich ihr wehklagen anzuhören. Sich mit der Freundin zutreffen, die gerade unter einer Trennung leidet, wieder unangenehme Gespräche mit dem Bruder führen. Um es auf den Punkt zu bringen: Zu Zeit muss man Lust haben. Man muss sie sich aktiv freischaufeln.
Doch ich vermute, dass die Menschen, die diese Ausreden bringen, auch vor sich selbst nicht ehrlich sind, sondern ernsthaft glauben, dass sie keine Zeit gehabt hätten. Und ein wenig stimmt das ja auch.
Viel zu tun haben wir alle
Das ist direkt Folge unserer schnelllebigen Zeit.
Wenn ich neben meiner Arbeit auch noch einkaufen gehen muss, Haushalt erledigen und kochen, mich um meinen Partner und meine Haustiere kümmern, zum Fitness gehen, einen Spaziergang machen, und mich mit Freunden treffen will, dann ist einfach keine Zeit mehr übrig. Mal abgesehen von den unendlich vielen Kleinigkeiten, die unser heutiges Leben von uns abverlangt.
Wir haben nicht weniger Zeit als die Menschen früher, wir nutzen sie nur anders. Packen sie voll, wollen so unendlich viel und haben Freizeitstress. Wir müssen etwas für unsere Gesundheit tun, bewusst essen und uns bewegen und immer wieder fortbilden. All das kostet Zeit.
Darüber hinaus besitzen wir Zeiträuber, wie Handys, Pads, PCs, Fernsehen mit unendlich vielen Programmen, Streamingdiensten, Radio, Musikanlagen etc. mit der Möglichkeiten zu hören, was unser Herz begehrt, wenn wir ein Abo bei einem der diversen Musikanbietern haben.
Wir fotografieren mal eben mit dem Handy, und bearbeiten schnell mal ein paar Fotos, oder nehmen uns die Zeit, diese auf den PC zu laden und zu sichern. Einen Großteil unserer Zeit sind wir online. surfen oder schauen mal kurz bei Facebook vorbei.´, beantworten eine Mail, bevor wir es vergessen, und und und …
Diese Liste könnte ich lange fortsetzen, aber ich komme sogar schon beim Schreiben unter Stress. Mir ist sehr wohl bewusst, dass es noch viel viel mehr gibt, was uns täglich in Anspruch nimmt, und fordert. Kein Wunder also, dass wir trotz allem depressiver werden, oder einfach nicht mehr mithalten können, weil alles so schnelllebig ist.
Mein Tipp: Wir sollten anders mit ZEIT umgehen. Uns bewusst machen, was uns Zeit raubt, und viel öfter mal Abschied von den technischen Geräten nehmen, die uns zur Verfügung stehen. Zeit gewinnen, statt sie zu verlieren, und unsere Prioritäten neu definieren, in denen Menschen in unserem Umfeld auf jeden Fall wichtiger sein sollten, als leblose Dinge.
Lernen wir, die Verantwortung zu übernehmen, und achtsamer mit uns und unseren Liebsten umzugehen. Zeit verschenken, statt sie sich irgendwo zu stehlen.
Hier passt ein philosophischer Auszug aus meinem Buch:
Zeit. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie vergeht. Verlorene Zeit, gibt es das überhaupt? Entweder man hat sie oder man hat sie nicht. Haben wir Zeit? Recht auf Zeit, in der heutigen, schnelllebigen Zeit? Nehmen wir uns Zeit? Zeit ist etwas, was man sich nimmt. Für Dinge, die einem wichtig sind. Menschen, denen wir dann unsere Zeit schenken. Haben wir „Die Zeit“? Nur wenn wir sie lesen wollen. Was ist gestohlene Zeit? Haben wir sie jemandem fort genommen? Fehlt dieser Person jetzt Zeit? Oder wurde uns Zeit geklaut, weggenommen, für immer? Gibt es tatsächlich geschenkte Zeit? Kann der andere dann diese Zeit behalten? Können wir Zeit gewinnen? Indem wir Zeit sparen? Hast du mehr Zeit als ich? Ist deine Zeit wertvoller als meine? Oder nutzt du deine Zeit nur besser? Wie nutzen wir sie am besten? Kann man Zeit vergessen? Oder Zeit kaufen? Zeit, die man bezahlen muss? Zeit von anderen. Gibt es schlechte und gute Zeiten? Wie viel Zeit haben wir noch? Gibt es Zeiträuber? Gibt es Zeitsparer? Wer kennt nicht Michael Endes „Momo“?[1] Wenn wir jetzt Zeit sparen, haben wir dann später mehr Zeit? Kann die Zeit stehen bleiben? Oder nur die Uhr?
[1] Weltbestseller: Momo lebt am Rande einer Großstadt in den Ruinen eines Amphitheaters. Sie besitzt nichts als das, was sie findet oder was man ihr schenkt, und eine außergewöhnliche Gabe: Sie hat immer Zeit und ist eine wunderbare Zuhörerin. Eines Tages treten die grauen Herren von der Zeitsparkasse auf den Plan. Sie haben es auf die kostbare Lebenszeit der Menschen abgesehen und Momo ist die Einzige, die ihnen noch Einhalt gebieten kann …
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