Verzeihung ist eine wichtige Geste…
… mit großer Wirkkraft auf uns selbst
Dabei ist das Verzeihen unter Umständen wirklich schwierig. Wie soll man auch Dinge verzeihen, die einen Menschen viel Schmerz gekostet haben, unter denen er vielleicht ein Leben lang zu leiden hat und die eigentlich unverzeihlich sind?
Wie soll ich verzeihen, dass mein Mann und meine beste Freundin eine Liaison miteinander angefangen haben, die letztendlich unsere Beziehung zerstört hat. Kann ich ihm und/oder ihr das jemals verzeihen?
Wie soll ich verzeihen, dass mein Vater mich über viele Jahre körperlich und seelisch missbraucht hat, und ich auch im Erwachsenenalter immer noch darunter leiden muss? So etwas soll ich verzeihen?
Wie soll ich verzeihen, dass meine Mutter den Großteil meiner Kindheit über Alkoholikerin war, und nicht in der Lage, mich so zu versorgen, wie es mir als Kind zugestanden hätte? Mir zugemutet hat, viel zu früh auch noch die Verantwortung für sie mitzutragen? Das soll ich verzeihen, obwohl es Folgen für mein ganzes Leben hatte?
Klar, gerade das sind Dinge, die schwer zu verzeihen sind, und noch viel schwerer zu verkraften. Vielleicht solltest du einfach mit Dingen anfangen, die dir leichter fallen und verstehen, warum Verzeihung so gut für dich selbst sein kann.
Die Gestalttherpie geht davon aus, dass es hilfreich ist, offene „Gestalten“ zu schließen. Gemeint damit ist, dass Erlebnisse, Erfahrungen usw., die mich am guten Leben im HIER & JETZT hindern, geschlossen werden müssen. Letzteres bedeutet: bearbeitet werden. Wenn ich also an etwas, zum Beispiel negativen Erinnerungen festhänge, und es mir nicht gelingt, damit abzuschließen, dann beeinflussen diese mein jetziges Leben. Immer dann, wenn mich JETZT etwas beeinträchtigt, dann sollte ich laut Gestalttherapie diese „offene Gestalt“ schließen, indem ich sie bearbeite. Dazu gibt es ganz unterschiedliche Methoden. Eine davon ist, das Thema zu durchleuchten, darüber zu sprechen, und es aufzuarbeiten.
Wenn dieses Thema im Zusammenhang mit einem anderen Menschen steht, dann ist es gut, ihm zu verzeihen, um einen Schlussstrich zu setzen. Bearbeitung eines Themas im psychologischen Sinne bedeutet, sich damit auseinander zu setzen und die Wunden durch Verstehen und darüber reden vernarben zu lassen. Verzeihe ich aber nicht, so bleibt ein Teil dieses Themas offen und ungeklärt.
Es kann Größe erfordern, Menschen für Verhaltensweise zu verzeihen, die eigentlich unmöglich waren. Leichter ist es, z.B. einer Freundin zu verzeihen, die kurzfristig in Wut etwas gesagt hat, was verletzend gewirkt hat. Ebenso leicht kann man Kollegen verzeihen, die eine blöde Bemerkung gemacht haben.
Verzeihen heißt, seinen Frieden damit zu schließen.
Wer mit massiven Verletzungen abschließt, indem er verzeiht, erreicht damit, sich nicht selbst ein Leben lang als Opfer anzusehen. Ein solcher Mensch hat sich entschieden, seine Sorgen und Nöte (und dazu gehören auch Verletzungen) in die eigene Hand zu nehmen, und TROTZDEM gut zu leben.
Verzeihen heißt nicht: „Das, was du gemacht hast, ist nicht schlimm.“, sondern es heißt: „Ich schließe mit dem ab, was mir passiert ist, um Energie für mein jetziges Leben zu gewinnen.“
Du brauchst auch nicht Gutfreund mit der Person zu werden, die dir bestimmte Dinge angetan hat. Verstehe nur, dass wir alle keine Engel sind, und Fehler machen. Dass die andere Person aus Schwäche, Dummheit oder anderen Gründen so gehandelt hat. (Niemand wird zum Beispiel absichtlich zum Alkoholiker mit all den daraus resultierenden Folgen.) Und vor allen Dingen:
Dass du es brauchst, zu verzeihen, um für dich selbst abzuschließen. Gerade, weil du deine Energie in Positives stecken möchtest und nicht bereit bist, dir dein eigenes Leben noch weiter zu zerstören, indem du an den Verletzungen festhältst.
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