Wandern durch das Jammertal
Wenn das Jammern einem Selbstzweck dient
Auch du kennst bestimmt Menschen, die das Jammern scheinbar erfunden haben, und durch ihre Einstellung zum Leben einfach nur schwer wirken.
Es sind Menschen, die ihr Jammern auf eine bestimmte Art kultiviert haben. Mit ihren Litaneien über ihr schlechtes Leben, ihre negativen Erfahrungen, oder momentane Nickligkeiten ziehen sie andere Menschen aus ihrer Umgebung herunter.
Sie machen es ihrer Umwelt durch die Art ihres Gejammers unmöglich, auf sie einzugehen, nur, um sich im Anschluss darüber zu beschweren, dass keiner sich für ihr Leid interessiert.
Diese Menschen erleben das, was um sie herum geschieht, dass, was ihnen passiert immer als schrecklich, unangenehm, und finden tausend Gründe zu jammern. Zufriedenheit wird man bei ihnen kaum finden.
Der Selbstzweck des Gejammers
Schnell merkt man als Außenstehender, dass das Gejammer einem Selbstzweck dient. Es bestätigt das eigene Leid, dass man in den ewigen Wiederholungen aufrecht erhalten kann. Der Jammernde erhofft sich über sein ewiges Gejammer Zuwendung, die ihm aber gerade deswegen häufig versagt wird, weil das Gejammer für die Umwelt nicht zu ertragen ist.
Solange der Mensch Energie in sein Jammern steckt, solange kann er nicht mit dem Leid abschließen. Er hält mit Vehemenz sein Leid hoch, und schürt durch ewige Wiederholungen sein Leiden zusätzlich. Es ist, als liebe er es, leiden zu dürfen. Auch wirkt es so, als hätte er keinerlei Interesse daran, sein Leid loszulassen.
Zudem macht der Jammernde es den Menschen in seiner näheren Umgebung unmöglich, auf den Leidenden einzugehen. Da sich das Gejammer immer wiederholt, sich oft auch um die gleichen Themen dreht, wirkt dieses Handeln aggressiv und zugleich nervig. Für einen nur indirekt Beteiligten ensteht eine gefühlte Schwere, die dieser nur schlecht aushalten kann. Er fühlt sich als seelischer Mülleimer missbraucht, scheint der Jammerer ja nicht an einer Lösung interessiert.
Gab man anfangs noch sein Bestes, um nicht nur zu trösten, sondern auch Wege aus dem Kummer heraus aufzuzeigen, so lässt man irgendwann alle Versuche, den Menschen aus seinem Jammertal zu befreien.
Dem Leidenden, so wirkt es, will nicht geholfen werden. Er jammert, um zu jammern. Anlässe dazu findet er vielfältige. Egal, was passiert, er wird einen Grund finden, negativ auf das Erlebte zu schauen. Dinge, die andere Menschen stoisch oder vielleicht in einem Anflug von Selbstironie lachend hinnehmen, werden in seiner Gegenwart und für ihn persönlich zum Drama.
Die ausgetretenen Pfade des Jammertals
Das Jammertal besteht aus flachen, zertretenen Wegen, während rundherum hohe Berge den Weg versperren, das Jammertal zu verlassen. Die Pfade sind deshalb so flach, weil sie immer und immer wieder benutzt wurden. Mit jedem Gejammer sank der Jammernde tiefer in sein Tal.
Die leidende Person müsste die Bereitschaft besitzen, sich aufzumachen, das ihn einschränkende Tal zu verlassen, um neue Wege für sich zu entdecken. Wege, ohne große Klagen und andauerndes Gejammer. Wege, die Lösungen bieten, und Rettung versprechen.
Anfänglich dient das Gejammer der Erleichterung, da ausgesprochene Dinge häufig das Herz erleichtern. Doch bei den Menschen, die im Jammertal gefangen sind, hat sich die Angewohnheit zu klagen als Bremse auf dem Weg zur Lösung entwickelt.
Energie für die wirklich wichtige Dinge aufwenden lernen
Wer seine Energie nämlich verbraucht, um stetig zu jammern, der hat keine Kraft mehr für andere, wirklich befreiende Verhaltensweisen. Er bleibt gefangen in einem Tal voller Leid. Nicht zu vergessen, dass sich sein Leid noch dadurch verstärkt, von seiner Umwelt nicht ernst genommen zu werden, und keine Hilfe zu erfahren.
Der Mensch, der so handelt, ist letztendlich in sich selbst gefangen, und kann ohne unterstützende Hilfe sein Jammertal kaum allein verlassen.
Hilfe tut dringend Not
Hat der Leidende durch sein Verhalten erst einmal seine Familie und Freunde vergrault, weil diese sich vor so viel Negativität schützen mussten, so hat er kaum noch eine reale Chance, sich selbst aus seinem Netz zu befreien.
Dabei braucht er dann, wenn er sein Jammertal wirklich verlassen möchte, dringend eine helfende Hand. Schließlich hat er den Weg in sein Jammertal nicht bewusst gefunden, und kann es kaum allein hinter sich lassen.
Professionelle Hilfe ist in diesem Fall ein gutes Mittel.
Ach ja, bevor ich es vergesse: Ein Mensch der leidet, ein Mensch, dem gerade Schlimmes widerfahren ist, ein Mensch, der gerade einen Verlust, ob durch Tod oder Trennung zu verarbeiten hat, ein Mensch, dem existenziell Bedrohliches widerfahren ist, wie ein Jobverlust, ein Mensch, der traumatisiert ist, usw. fällt im Allgemeinen nicht in die Kategorie: „Das Jammertal durchwandern“. Dieser Mensch trauert einfach. Er trauert, und ist auf der Suche nach Empathie und Trost. Und genau das darf er. Er darf erwarten, Unterstützung zu bekommen.
Es ist ein Mensch, der unsere Hilfe vorüber gehend dringend benötigt, selbst wenn er in seinem Leid ihn schmerzende Dinge wiederholt und wiederholt. Dies ist allerdings ein temporäres Verhalten, welches sich nach einer angemessenen Trauerphase von selbst wieder ändert. Anders, als beim Wanderer, der Gejammer, und nicht ernste Trauer zum Ideal erhoben hat.
Noch wieder anders ist es bei Menschen, die unter Depressionen leiden, und ihre Umwelt oft maximal durch ihren Rückzug belasten, nicht aber durch ständige Wiederholung von Negativitäten.
Ich bitte dies zu unterscheiden.
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